Geschichte der Bahnhöfe

Bahnhof Leipzig 1837

Die industrielle Revolution wäre ohne die Erfindung der Dampfmaschine undenkbar. Sie war der Motor für viele weitere Entwicklungen der Technik. Englische Ingenieure des 19. Jahrhunderts, Trevithick und Stephenson, entwickelten diese Techniken weiter und setzten die Dampfmaschine auf Räder. Zwei unter Trevithicks Lizenz von Matthew Murray 1812 gebaute Zahnradlokomotiven waren in der Kohlenzeche zwanzig Jahre lang im Betrieb (1). Sie benutzten in Folge Eisenschienen, um die schwere Maschine mit mehr Kraft in Bewegung zu setzen, als die Pferde dies bisher konnten. Die Eisenbahn war geboren. Aber es brauchte noch einige Erfindungen im Detail um diese Bahn für längeren Transport funktionsfähig zu machen.

Schnell wurde auch Personenverkehr eingerichtet, da das Interesse groß war. 1825 wurde am 27. September auf der Strecke zwischen Stockton und Shildon die erste öffentliche Eisenbahn der Welt eingerichtet. Beim berühmten Rennen von Rainhill 1829 errang die Rocket von George und Robert Stephenson den ersten Preis (1). Schon hier wurde die heute noch übliche „Normalspur“ von 4 Fuß 8 1/2 Zoll = 1435mm Spurbreite verwendet. Die erste offizielle Eisenbahnfahrt in Deutschland fand am 7. Dezember 1835 statt von Nürnberg nach Fürth mit der importierten Lokomotive Adler von Stephenson und Co (2). So wurden bald auch anderorts ausschließlich dampfmaschinengezogene Eisenbahnzüge eingesetzt. Die Strecke von Leipzig nach Althen 1837 war die zweite in Deutschland. Diese Strecke war gerade mal 10,6 km lang. Neue Strecken kamen schnell dazu und wurden verlängert. Bald entstanden dann auch die ersten Bahnhöfe.

Als Haltepunkt dienten zunächst bloße Holzschuppen, um die Reisenden vor Regen zu schützen. Erste Vorbilder waren hinsichtlich der Empfangsgebäude die Relaisstationen des Postverkehrs, die ebenfalls Warteräume und Fahrschein-Ausgaben beherbergten (3). Da Züge aber länger als Postkutschen waren und die Zahl der Reisenden höher, gab es zunächst Bahnsteige, danach Bahnsteigüberdachungen und bald kamen auch Gebäude mit Restaurants hinzu.

1. Phase: 1835-1871

Dresdner Bahnhof 1860
Dresdner Bahnhof, Leipzig 1860, Autor unbekannt

In der Frühphase 1835-71, in dieser Zeit der Pferdekutschen, war die Eisenbahn eine ungeheure Innovation und mit viel Neugierde aber auch vielen Ängsten verbunden. Damals gab es noch zahlreiche Kleinstaaten in Deutschland und mit Ihnen unterschiedliche Maße, Gewichte und auch Uhrzeiten. Für die Eisenbahn musste das jeweilige Land eine eigene Eisenbahnzeit festlegen. Erst 1893 wurde per Gesetz eine einheitliche Zeit für das deutsche Reich festgelegt (4). In jedem Land entstanden seit 1835 sehr schnell zunächst private Eisenbahngesellschaften, die nur eine Strecke planten und betrieben. An den Grenzen der Staaten war dann das Ende der Fahrt und die Fahrgäste mussten umsteigen. Dort gab es jeweils einen Bahnhof zum Schutz der Fahrgäste, wahrscheinlich auch zur Grenzkontrolle. Schnell schlossen sich die Gesellschaften einzelner Länder zusammen, um mit mehr Kapital auch grenzüberschreitenden Verkehr anbieten zu können.

Viele der ersten Empfangsgebäude waren Kopfbahnhöfe, da sie den Endpunkt einer noch recht kurzen Eisenbahnstrecke bedeuteten. Es entstanden dann in den 40er und 50er Jahren sehr schnell Bahnhöfe an den wichtigen Städten der jeweiligen Strecke. Da der Streckenausbau rapide weiterging wurden schon bald die Bahnhofsgebäude zu klein. Gepäckgebäude, Stellwerke, Warteräume und Räume für das zahlreiche Personal der Bahnen wurden benötigt. In den größeren Städten wurden Restaurants errichtet.

Beim Ausbau der Strecken entstanden Knotenpunkte. Hier wurde das Bahnhofsgebäude wichtiger, da die Menschen umsteigen konnten. Die Städte erlebten durch die schnelle Erreichbarkeit per Eisenbahn einen Aufschwung des Handels. Typische Beispiele dieser 1. Bauphase waren der erste Bahnhof der Ludwig-Süd-Nord-Bahn in Nürnberg, der in neugotischem Stil errichtet wurde oder das alte, später an anderer Stelle ersetzte Empfangsgebäude in Würzburg.

Die zeitgemäße Architektur prägte natürlich das zu erbauende Gebäude. Der Historismus bestimmte die Zeit von 1840- ca. 1914. Beim Historismus werden ältere Architekturformen wieder belebt wie Neogotik oder Romantik. Die romantische Weltsicht aus der Literatur nahm oft Einfluss auf die zeitgenössische Architektur des frühen 19. Jahrhunderts. Bezeichnend ist eine Hinwendung zu mittelalterlichen Bildwelten der eigenen Geschichte. Zusätzlich konnten die kulturellen Bezüge des Landes von Bedeutung sein.

Minden Bahnhof
Minden Bhf,

Eines der ältesten noch bestehenden Bahnhofsgebäude ist der Bahnhof von Minden/Westfalen. Das Empfangsgebäude stammt aus dem Jahre 1847 und steht am Grenzpunkt zwischen der Köln-Mindener Eisenbahn und den Hannoverschen Staatsbahnen. Er wurde im romantischen Stil mit Türmchen und Zinnen erbaut. 1866 mit der Annexion des Königreichs Hannover durch Preußen erübrigte sich diese Funktion und der Bahnhof verlor seine Bedeutung.
Ein weiterer noch betriebener Großbahnhof dieser Zeit ist Augsburg Hauptbahnhof.

Aufgrund des großen Kapitalbedarfs stiegen oft auch die Länder als Bauherren ein bzw. übernahmen die Strecken. Die Ludwigs-Nord-Süd-Bahn übernahm sehr früh der Staat Bayern. Diese Strecke reichte von Sachsen bis Lindau am Bodensee.

Der erste Bahnhof in Erfurt, 1847 eröffnet, existiert auch heute noch, steht neben dem Hauptbahnhof, ist aber von einer Bank übernommen.

1847 erbaute 1. Bahnhof Nürnberg, aus Baudenkmäler der Stadt Nürnberg

2. Phase: 1870-1918

Leipzig Hbf, 1916, Stadtgeschichtliches Museum Leipzig, Inv.-Nr. 4828

Die Schaffung eines deutschen Reiches unter preußischer Führung 1871 hatte einen enormen Aufschwung der Wirtschaft zur Folge. Die industrielle Entwicklung Deutschlands nahm Fahrt auf, da nun die Begrenzungen in deutschen Landen fielen. Der Fall der Zollschranken und die Vereinheitlichung vieler Maße (5) förderten die Entwicklung. Das damit verbundene Anwachsen des Verkehrs ließ viele bestehende Gebäude der Eisenbahnen zu klein werden. Durch weiteren Ausbau, Vereinheitlichung und Verbindung zahlreicher Strecken nahm der Bedarf für Abfertigung der Güter und Fahrgäste enorm zu. Viele der Empfangsgebäude der großen Bahnhöfe wurden neu gebaut und galten fortan als Repräsentanten des Reichtums und Erfolgs der Städte und Länder. Die Eisenbahn wurde überall auf der Welt der Motor der wirtschaftlichen Entwicklung. So wurden ab ca. 1880 die neu errichteten Gebäude an Größe und üppiger Ausstattung nur noch von den Herrschaftssitzen der Regenten übertroffen. In den Hauptstadtbahnhöfen gab es bald noble Restaurants und natürlich exklusive Warteräume für die Fürsten (6).

Nürnberg Hbf

Die Fassaden der Hauptbahnhöfe wurden im Zuge des Historismus mit allegorischen Darstellungen nach klassischen Sagen bestückt. Die Architektur des Historismus wandelte sich aber nun häufig zu neobarocker Gestaltung. Auch Neorenaissance und Spätklassizismus waren üblich. In England herrschte die Neogotik vor. Die Zentralbahnhöfe bekamen 10 und mehr Bahnsteige, um den Verkehr aufzunehmen. Dafür konnten die Ingenieure Wunderwerke an Stahl- und Glaskonstruktionen erbauen. Frankfurt HBf erhielt 1888 als Handelszentrum im Westen Deutschlands einen riesigen Centralbahnhof. Aus den drei bisher existierenden Kopfbahnhöfen wurden die Strecken in einem riesigen Bahnhof zusammengefasst mit entsprechend 3 Bahnsteighallen (7). Gebaut wurde auch hier mit Sondereinrichtungen, wie gesonderten Wartebereichen für Höchste und Allerhöchste Herrschaften (Fürstenbahnhof) und edlen Restaurants. Frankfurt Hauptbahnhof war bis 1915 der größte Bahnhof Europas. Der Leipziger Hauptbahnhof ist ein weiteres Beispiel. Er wurde 1915 fertiggestellt und ist auch heute noch der größte Bahnhof Europas.

Frankfurt Hbf
Frankfurt Hbf, Wikimedia Commons

In dieser Zeit konnten sich Architekten mit großen Bahnhofsbauten in das Buch der Geschichte einschreiben.

Die Begeisterung für die Schnelligkeit dieser Fortbewegung war groß. Zu dieser Zeit war die Eisenbahn das schnellste Fortbewegungsmittel. Geschwindigkeitsrekorde wurden lange von der Bahn gehalten. Mit rasender Geschwindigkeit ging auch der Ausbau des Bahnnetzes voran.
1912 gab es bereits ein 58.000 km langes Eisenbahnnetz in Deutschland.

Hamburg Hbf 1906

Noch erhaltene Bahnhöfe der 2. Phase:

Frankfurt Hbf – Halle Hbf – Hamburg HbfErfurt Hbf – Nürnberg Hbf –  Leipzig Hbf- ua.

Frankfurt Hbf, 2018

3. Phase: 1918-1945

Der 1. Weltkrieg war in vielfacher Hinsicht eine Zäsur. Es entstanden in Europa vielfach neue Regierungsformen. Viele Monarchien in Europa mussten abdanken. Damit verbunden gab es grundlegend neue Vorstellungen von Architektur und Design, welche sich jetzt durchzusetzen begannen. Die Moderne brach sich Bahn. Doch der Bahnhofsneubau stagnierte hier in Europa, da das Streckennetz weitgehend fertiggestellt war und eine Wirtschaftskrise die Nächste jagte. Die meisten Gebäude waren in der Expansionszeit groß dimensioniert worden, so dass kaum Neubauten nötig waren. Allenfalls gab es Erneuerungen des Bestands. Der Düsseldorfer Hauptbahnhof entstand dann erst in den dreißiger Jahren im sachlichen Stil als Backsteinarchitektur. Im Kohlegebiet Sachsens musste der Bahnhof Zwickau vergrößert werden. Im neuen Stil mit Glasurziegeln als Kuppelbau errichtet, wurde er 1936 eröffnet.

Zwickau Hbf innen
Zwickau Hbf, innen

Das Berliner S-Bahnnetz wurde seit 1924 nach und nach elektrifiziert. Hier entstanden in den zwanziger Jahren zahlreiche Bahnhöfe. Gebaut wurden kantige Backsteinbauten im Stil der Neuen Sachlichkeit. Der Bahnhof Wannsee ist ein schönes Beispiel.

S-BHF Berlin-Wannsee

In Italien wurden noch einige große Empfangsgebäude im Stil der Moderne realisiert, viele auch erst unter den Faschisten. Florenz und Rom erhielten monumentale große Gebäude im Stil des Futurismus oder Neuen Bauens. Roma Termini wurde allerdings erst nach dem Krieg endgültig fertiggestellt.

 

4. Phase: 1945-1990

Dortmund Hbf, 2011

Der 2. Weltkrieg war eine Katastrophe für die Bahnhöfe in Deutschland. Ein großer Teil der Bahnanlagen und Bahnhöfe war durch Bombenangriffe zerstört. Zunächst mussten die Schienenanlagen schnell wieder hergestellt werden, damit der Verkehr und somit die Wirtschaft wieder ins Laufen kamen. Die Gebäude wurden erst mal provisorisch aufgebaut, Schönheit war dabei nicht so wichtig. Danach begann die Schaffung neuer Bahnhofsgebäude erst Ende der fünfziger Jahre.
Der Wiederaufbau brachte einen endgültigen Durchbruch der modernen Architektur der klaren geraden Linien und lichten Empfangshallen. Es begann auch der Siegeszug des Stahlbetons.

Münster Hbf, 2009

Zahlreiche Groß- und Kleinstädte hatten Bedarf und erhielten Portale mit einer Glasfensterfront mit oftmals leicht geschwungenem Dach. So zu besichtigen in Münster, Dortmund, Berlin-Ostbahnhof, Recklinghausen, Bochum, Braunschweig, Heidelberg und Köln. Diese Liste kann man noch beliebig verlängern. Der Mief der Nazizeit und auch die überladenen Fassaden der Kaiserzeit wurden ausgelöscht. Manchmal wurden die teilzerstörten Bahnhöfe vereinfacht wieder aufgebaut. Im dem im Krieg schwer umkämpften Berlin wurden alle großen Kopfbahnhöfe abgerissen, da nur noch Ruinen stehen geblieben waren. Lediglich die Fassade des riesigen Anhalter Bahnhofs blieb als Denkmal erhalten.

Doch entstanden in der Zeit auch immer wieder schlechte Beispiele der Moderne. Betonbauten mit wenig Idee und Gefühl verschandeln leider noch immer einige Bahnhofsplätze.

Kempten Bhf, 2011

5. Phase 1990-heute

Nach der Wiedervereinigung mussten innerdeutsch Strecken neu verbunden und gebaut werden. In diesem Rahmen wurden auch viele Bahnhöfe erneuert bzw. restauriert. Heutzutage sind wir uns der architektonischen Qualität alter Bahnhöfe bewusst geworden und erhalten sie. Zahlreiche Bahnhofsgebäude wurden bereits unter Denkmalschutz gestellt.

Vieles an Altem wird gesucht und erhalten. Die Musealisierung unserer Außenwelt ist auf dem Vormarsch. Doch die Funktionen der alten Bahnhofsgebäude sind seit längerem hinfällig geworden oder haben sich gewandelt. Der Bahnhof ist heutzutage möglichst kein Aufenthaltsort mehr. Es geht nur noch ums Ein und Aussteigen. Warteräume sind abgeschafft worden, Personal am Bahnhof gibt es kaum noch. Kleinstadtbahnhöfe sind meist komplett geschlossen.

Berlin Hbf innen
Berlin Hbf innen, 2008

Der Berliner Hauptbahnhof als Vorzeigebahnhof der Deutschen Bahn stellt wirklich eine neue Qualität der Konstruktion dar. Auch der Stuttgarter Hbf wird umgebaut, da bleibt der Großteil des Gebäudes aus den zwanziger Jahren aber erhalten. Unterirdisch werden die Bahnstrecken komplett verändert. Aus einem Kopfbahnhof wird ein Durchgangsbahnhof.

Der Verkehr mittels Eisenbahn stagniert seit längerem, heutzutage expandiert der Flugverkehr. Es geht immer weiter und schneller. Doch die neuen ICE Verbindungen sind konkurrenzfähig und werden ausgebaut.

Lediglich in Asien, speziell in China werden noch zahlreiche große Bahnhöfe gebaut. Hier ist der Bedarf für die vielen Menschen vorhanden. Diese Gebäude ähneln sehr hiesigen Flughäfen.
Mehr als 180 Jahre nach dem Bau der ersten Bahnstrecke in Deutschland wird die Bahn in Deutschland zumindest nicht verschwinden.

Quellen:

  1. https://de.wikipedia.org/wiki/George_Stephenson
  2. https://www.dbmuseum.de/museum_de/ausstellungen_fahrzeuge
  3. Geschichte der Eisenbahn – Ralf Roman Rossberg, Seite 356, Sigloch Edition 1984
  4. https://de.wikipedia.org/wiki/Gesetz_betreffend_die_einfuehrung_einer_einheitlichen_Zeitbestimmung
  5. https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_der_Maße_und_Gewichte
  6. https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Fürstenbahnhöfe
  7. Bahnhöfe der Welt – Steven Parissien, Knesebeck-Verlag 1997 München